| Radreise Plitvicer Seen Nordkroatien
Der erste Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Dichter Nebel liegt über den Häusern unseres Startortes Fužine. Vielleicht haben wir den Oktober als Zeitpunkt für unsere Radreise in den Bergen Nordkroatiens zu spät gewählt. Doch beim Öffnen des Fensters gibt’s Entwarnung: Es ist zwar ein kühler Morgen aber nicht wirklich kalt. Der Geruch von verbranntem Holz weht ins Zimmer. Der Nebel entpuppt sich als morgendlicher Dunst, der sich mit dem Rauch aus dutzenden Kaminen mischt. Hier wird noch überall mit Holz geheizt und gekocht.
Für uns Westeuropäer ist das ein romantischer Urlaubstraum, die Kroaten, da sie gerade der EU beigetreten sind, wünschten sich doch ein wenig mehr Modernität. Auch im Frühstücksraum lodert ein gemütliches Feuerchen. Es hält uns aber nicht davon ab, uns bald auf unsere Räder zu schwingen. Andrej, der Hotelier gibt uns bei der Verabschiedung noch seine Visitenkarte. Wir könnten ihn jederzeit anrufen, wenn wir auf der langen und einsamen Etappe bis Otocac Hilfe bräuchten. Wir radeln in den kommenden Tagen durch einige kaum bewohnte Gebiete, ein wenig übertrieben scheint das gutgemeinte Angebot dennoch.
Holzfeuer und Bärenschnitzel
Bald schon fahren wir mitten durch urwüchsigen Mischwald. Neben vielen anderen Wildgerichten stand gestern Abend Bärenschnitzel auf der Speisekarte. Braunbären soll es in Nordkroatien noch viele geben. Bei jedem Geräusch denkt man unweigerlich an Meister Petz, der plötzlich aus dem Dickicht kommen könnte. Aber ein Bär würde unsere Fährte kilometerweit riechen. Da der Mensch sein einziger Feind ist, legt er sicher wenig Wert auf ein Zusammentreffen. So werden wir Radler ihn wohl nicht zu Gesicht bekommen.
Urplötzlich lichtet sich der Wald und weicht einer kargen Berglandschaft mit weiten Blicken über die Kvarner Bucht und auf die mondähnlichen Inseln Krk, Cres und Rab. Die starke Ora bläst regelmäßig von der Adria über die Hochebene und lässt nur geduckte Büsche und Bäume wachsen. Wo in anderen Regionen Europas Kühe weiden, grasen hier oben Wild-pferde. Eine Herde versperrt uns die schmale Straße. Sollen wir die Räder außen herumtragen oder lieber auf ein Auto warten, das die Tiere auseinandertreibt? Das kann hier ziemlich lange dauern. Nach ein paar Minuten sind wir nicht mehr interessant und die Herde trabt gemächlich ins Gelände.
Kriegsschäden sieht man überall
Jahrzehnte nach Ende der grausamen Kampfhandlungen leidet das Land noch immer an den Folgen des Kroatienkrieges. Die ersten sichtbaren Zeichen sind mit Einschusslöchern übersäte Häuserfassaden in Otocac. Kurze Zeit später fahren wir durch ein fast vollständig entvölkertes Gebiet.
Unsere Tour führt in weiten Teilen durch die ehemalige Republik Serbische Krajina. Ein De-facto-Regime, das während des Krieges 1991 – 1995 ein Drittel des Staatsgebietes Kroatiens kontrolliert hat. Nach dem Sieg der Kroatischen Armee wurden die hier lebenden Serben vertrieben oder flohen über die nahe Grenze nach Bosnien-Herzegowina. Bis heute sind nur wenige zurückgekehrt. Sieger dieses Krieges ist hier nur die Natur.
Faszinierend, wie schnell sie sich alles zurückerobert. Die Häuserruinen sind überwuchert von Bäumen und Gestrüpp. Die einzigen Bewohner sind Hunde, die kläffend aus den verlassenen Grundstücken rasen und uns jedes Mal einen furchtbaren Schrecken einjagen. So fliehen auch wir und sind trotz der dramatischen Landschaft froh, endlich wieder in einen bewohnten Ort zu kommen.
Der Schreck macht hungrig. Die Kochkunst hier im Landesinneren unterscheidet sich wohltuend von dem typischen „Balkan-Food“ das man in Touristenregionen an der Küste gerne serviert bekommt. Cevapcici stehen auf keiner Speisekarte. Dafür eine Fülle schmackhafter Wildgerichte in allen Variationen und fangfrische Süßwasserfische. Als Nachspeise darf der köstliche Palacinke nicht fehlen. Das ehemalige Kaisertum Österreich-Ungarn hat die hauchdünnen Pfannkuchen auf seinem expansiven Reichsgebiet hinterlassen.
UNESCO-Weltnaturerbe Plitvicer Seen
Im Nationalpark Plitvicer Seen werden Erinnerungen an die Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand aus den alten Karl-May-Filmen wach. Hinter jedem Wasserfall könnten ein paar Banditen lauern. Stattdessen kommt uns eine chinesische Reisegruppe entgegen. Da die Asiaten gerne im Pulk bleiben, können wir bald wieder alleine das Spiel des Wassers bewundern, das über Staustufen und Wasserfälle die kaskadenförmig angeordneten Seen verbindet.
Über gut ausgebaute Holzstege und –treppen wandern wir von See zu See immer höher. Die Nationalparkverwaltung zählt etwa eine Million Besucher pro Jahr. Gut wenn man das Naturschau-spiel außerhalb der Hauptsaison bewundern kann.
Gastfreundschaft wird großgeschrieben
Die Etappe nach Slunj führt uns entlang der bosnischen Grenze. Wer auf der einzigen längeren Strecke auf Schotter mal austreten muss, sollte auf keinen Fall ins Gebüsch. Noch immer gibt es hier Minenfelder, die nur unzureichend mit Schildern gekennzeichnet sind. Auf dem Land hat sich jede Familie ihr eigenes kleines Häuschen gebaut. In die Einfahrt gehört ein liebevoll gepflegtes Auto. Da wird dann lieber an der Fassade gespart. Nirgendwo sonst haben wir schon einmal so viele unverputzte Häuser gesehen. Fast jeder ist zumindest im Nebenberuf Kleinbauer und bewirtschaftet ein paar Quadratmeter Acker für den Eigenbedarf.
Trotz oder gerade wegen der im EU-Vergleich noch sehr bescheidenen Lebensverhältnisse begegnen uns die Menschen aufgeschlossen und wirken sehr ausgeglichen. In Rastoke bei Slunj übernachten wir bei einer Familie, die privat zwei Zimmer vermietet. Schon bei unserer Ankunft duftet es aus der Küche. Aber die Frau des Hauses kocht nicht für ihre Familie, sondern für uns. Wildgulasch mit Polenta und frisch geriebenem Krautsalat. Nachdem sie uns bedient hat, nimmt sich sich kurzerhand einen Teller aus dem Schrank und isst gemeinsam mit uns zu Abend.
Stadt der Flüsse
Unsere letzte Etappe führt uns durch weites Hügelland in die Vier-Flüsse-Stadt Karlovac. Die sehenswerte, barocke Altstadt leidet noch immer unter schweren Kriegsschäden, bezaubert aber durch ihren morbiden Charme. Wir beziehen ein wunderschönes Zimmer in dem kleinen, feinen Boutique Hotel Korana Srakovcic direkt am Fluss Korananur ein paar Minuten von der Altstadt im Grünen gelegen.
Nach einer Dusche holen wir das beste zum Anziehen, was wir noch finden können aus unseren Radtaschen. Zum Abschluss unserer erlebnisreichen Reise gönnen wir uns in dem kleinen Restaurant des Hotels Steaks und einen guten Wein. Zuvor muss aber noch ein kleines Helles aus der bekanntesten Brauerei Kroatiens probiert werden, ein Karlovačko pivo.
Karte und Höhenprofil
Radreise Plitvicer Seen Nordkroatien
Infos
Charakter
Die Route führt durch hügeliges Gelände. Die Anstiege sind nie sehr lang oder steil. Die Etappenlängen sind moderat. Nur am zweiten Tag von Fužine nach Otocac sollte man früh starten. Diese Etappe ist wegen ihrer Länge etwas anstrengender. Immer ausreichend Proviant mitnehmen! Die wenigen Versorgungsmöglichkeiten zwischen den Etappenzielen haben nicht immer geöffnet.
Tourstart
5 Radetappen und Rücktransport von Karlovac nach Fužine per Taxitransfer.
- Rundtour Fužine – Nationalpark Risnjak – Fužine
(54 Km, 954 Hm) - Fužine – Melnice – Otocac (85 KM, 1164 Hm)
- Otocac – Nationalpark Plitvicer Seen (48 Km, 650 Hm)
- Nationalpark Plitvicer Seen – Slunj (48 Km, 607 Hm)
- Slunj – Karlovac (68 Km, 763 Hm)
Beste Reisezeit
Von Mai bis Oktober. Das Klima im Bergland Nordkroatiens ist etwas frischer als an der Küste der Kvarner Bucht. Da der höchste Punkt der Reise aber keine 1000 Meter über dem Meer liegt, ist das Klima auch im Frühling oder Herbst nicht wirklich rau. Abends kann es dann aber frisch werden.
Anreise
Mit dem Auto nach Fužine oder Karlovac. Entweder zu Beginn oder Ende der Radreise per Taxitransfer 84 Kilometer zum jeweils anderen Ort.
Übernachten
Im Kroatischen Hinterland findet man fast immer ohne Verbuchung eine Pension oder ein Hotel. Viele Familien bieten darüberhinaus private Übernachtungen an. Dennoch empfiehlt es sich, bereits vor der Reise die Unterkünfte in den Etappenorten zu buchen.
Sehenswert
Nationalpark Risnjak: das gebirgige Wanderparadies ist der Lebensraum seltener Tiere wie Luchse, Wölfe und Braunbären.
Nationalpark Plitvicer Seen: bekannt durch die Winnetou-Verfilmungen.
Rastoke in Slunj: eine Bilderbuch-Miniaturlandschaft aus Bächen, Wasserfällen und alten Mühlen.
Karlovac: als eine der jüngsten Städte Kroatiens wurde Kar-lovac in der Renaissance als Festungsanlage konzipiert. Die barocke Altstadt wurde im Kroatienkrieg stark beschädigt, aber weitestgehend wieder saniert.
Landkarten
Auto & Freizeitkarte Kroatien Nord, 1:200.000
Freytag & Berndt
EAN 9783707904598
9,99 €
Reiseführer
Reiseführer Nordkroatien – Zagreb & Kvarner Bucht
Michael Müller Verlag 19,90 €
Tourist-Infos
Kroatische Zentrale für Tourismus
Stephanstraße 13
60313 Frankfurt am Main
Tel. +49 69 2 38 53 50